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Pläne der BundesregierungErst zum Hausarzt, dann zum Facharzt: Was bringt das neue Primärarztsystem?

16. Mai 2025, 19:19 Uhr

Der erste Weg soll künftig immer zum Hausarzt führen. So sieht es das geplante Primärarztsystem vor, das im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung angekündigt wurde. Für viele klingt das nach einem neuen Kurs in der Gesundheitsversorgung. Doch wer genauer hinsieht, merkt: Einiges davon gibt es in Sachsen-Anhalt schon längst. In vielen Hausarztpraxen ist genau das schon Alltag. Was soll sich also wirklich ändern – und was bedeutet das für Ärzte und Patienten?

Seit rund 20 Jahren kommt Ursel Sperling regelmäßig in ihre Magdeburger Hausarztpraxis. Sie ist chronisch krank, kennt die Abläufe – und weiß: Ihre Hausärztin ist immer die erste Anlaufstelle bei gesundheitlichen Fragen. "Ich bin einmal im Quartal hier zu den allgemeinen Absprachen. Wenn ich dann eine Überweisung zum Facharzt brauche oder ein Rezept, kann ich mich hier in der Praxis zwischendurch melden", erzählt sie. Sie kenne das gar nicht anders. Alles sei so "konzentriert in einer Hand".

So ist alles konzentriert in einer Hand.

Ursel Sperling | Patientin

So wie Ursel Sperling geht es vielen Patientinnen und Patienten in Sachsen-Anhalt: Sie nehmen bereits an der sogenannten hausarztzentrierten Versorgung teil – einem freiwilligen System, das es in Sachsen-Anhalt seit 2004 gibt. Ziel ist es, die Behandlung besser zu koordinieren und Doppeluntersuchungen zu vermeiden.

So funktioniert das Primärarztsystem

Mit dem Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung soll das Primärarztsystem nun in ganz Deutschland eingeführt werden. Das bedeutet: Wer ärztliche Hilfe braucht, soll sich in der Regel zuerst an eine Hausarztpraxis wenden und wird von dort, wenn nötig, an Fachärzte weitervermittelt.

Dr. Elisa Tetschke, Hausärztin aus Magdeburg, berichtet, dass dies in ihrer Praxis schon längst gang und gäbe sei. Viele Patienten kämen mit ihren Beschwerden immer zuerst zu ihr. Die Ärztin schätze dann ein, was zu tun ist – und ob ein Facharzt nötig sei: "Dadurch sind wir auch oft Lotsen", erklärt sie.

Dr. Elisa Tetschke ist Hausärztin in Magdeburg – und arbeitet schon lange nach dem Primärarztprinzip. Bildrechte: MDR/Laura Sinem Hönes

Die Idee, das Primärarztsystem nun bundesweit gesetzlich zu verankern, ist also nichts Neues für Sachsen-Anhalt. Durch die nun gesetzliche Verpflichtung erhofft sich die Bundesregierung eine bessere Steuerung der Patientenströme und gleichzeitig eine Entlastung der oft überlaufenen Facharztpraxen.

Herausforderung: Überlastete Praxen und Ärztemangel

Was auf dem Papier gut klingt, bringt in der Praxis neue Fragen mit sich – vor allem auf dem Land. Denn nicht überall gibt es überhaupt noch eine Hausarztpraxis. Viele Mediziner arbeiten schon jetzt am Limit. Termine sind knapp, Wartezimmer oft voll. Wer sich krank fühlt, muss häufig lange Wege auf sich nehmen – oder überhaupt erst mal einen Arzt finden, der neue Patienten aufnimmt.

Dr. Elisa Tetschke kennt die Belastung aus dem Alltag. Um dennoch kurzfristig Hilfe leisten zu können, setzt sie auf tägliche Akutsprechstunden. Patienten mit dringendem Bedarf werden so flexibel in den Tag eingeschoben. Das erfordert viel Organisation und kostet Zeit. Dennoch befürwortet sie das neue Primärarztsystem.

Hinzu kommt: Viele Hausärzte gehen in den nächsten Jahren in Rente, der Nachwuchs fehlt oft – besonders in kleineren Orten. Um dem entgegenzuwirken, hat Sachsen-Anhalt die Landarztquote eingeführt.

Was ist die Landarztquote?Seit 2020 ist ein fester Teil der Medizinstudienplätze in Sachsen-Anhalt für angehende Landärzte reserviert. Damit will das Land dem Hausärztemangel in ländlichen Regionen entgegenwirken. Studierende verpflichten sich, nach dem Abschluss mindestens zehn Jahre als Hausarzt in unterversorgten Gebieten zu arbeiten. Wer einen Platz über die Quote bekommt, muss kein Spitzen-Abitur haben, dafür aber ein Auswahlverfahren durchlaufen.

Chance für eine gezieltere Versorgung

Auch die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalts begrüßt die geplante Reform. Eine strukturierte hausärztliche Steuerung könne Engpässe in der Facharztversorgung verringern. "Es muss nicht jeder Patient, der Knieschmerzen hat, zwingend ins MRT. Manchmal reicht auch einfach eine Behandlung beim Hausarzt oder beim Orthopäden, aber nicht beim Radiologen", erklärt der Vorsitzende Dr. Jörg Böhme.

Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt begrüßt die geplante Reform, sagt deren Vorsitzender Dr. Jörg Böhme. Bildrechte: MDR/Laura Sinem Hönes

Zudem gebe es inzwischen mehr Möglichkeiten: etwa die Videosprechstunde oder ärztliche Beratung per Telefon. Entscheidend sei, dass die Überweisung medizinisch begründet und gezielt erfolge.

Volle Vergütung für gezielte Überweisungen?

Im Zuge des Primärarztsystems fordert die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalts auch die sogenannte Entbudgetierung der Fachärzte. Hintergrund: Bislang erhalten Fachärzte viele ihrer Leistungen nur bis zu einer festgelegten Budgetgrenze voll vergütet – jede Behandlung darüber hinaus wird schlechter bezahlt. Die Kassenärztliche Vereinigung argumentiert, dass bei einem gesteuerten System, in dem Patienten gezielt vom Hausarzt überwiesen werden, jede fachärztliche Behandlung auch vollständig bezahlt werden sollte. So könne man die Versorgung attraktiver machen und gleichzeitig den Fachärztemangel besser auffangen, erklärt der Vorsitzende Jörg Böhme.

Primärarztsystem: Kein Neuanfang, aber ein nötiger Schritt

Die hausarztzentrierte Versorgung ist in Sachsen-Anhalt längst Realität. Für Patienten, die bereits gut eingebunden sind, wird sich mit dem Primärarztsystem also wenig ändern. Doch der politische Plan kann für alle nur aufgehen, wenn auch die strukturellen Probleme gelöst sind: zu wenig Hausärzte, lange Wartezeiten, unbesetzte Praxen auf dem Land. Entscheidend wird also sein, ob es gelingt, das Primärarztsystem auch überall im Land verfügbar zu machen.

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MDR (Laura Sinem Hönes)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 16. Mai 2025 | 19:00 Uhr

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